Blitz-Interview mit Karin Frick
«Die Landesausstellung Svizra27 könnte ein Kraftwerk für soziale Energie werden.»
Blitz-Interview mit Karin Frick, Leiterin Research und Mitglied der Geschäftsleitung am GDI Gottlieb Duttweiler Institute, zum Thema Gesellschaft und Zusammenhalt – und was diese beiden Begriffe mit Svizra27 zu tun haben.
Wir leben in einer zunehmend digitalisierten Welt. Die gesellschaftlichen Veränderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, beschleunigen sich laufend. Wir adaptieren unseren Lebensstil an globale Entwicklungen. Ist das eine Zerreissprobe für den Zusammenhalt der Schweizerinnen und Schweizer?
Karin Frick: Nein. Die Globalisierung hat – im Konsum – dazu geführt, dass das Regionale wiederentdeckt wurde. Im Biermarkt zum Beispiel dominieren heute überall lokale Marken und jeder Supermarkt und jedes Restaurant bieten heute erfolgreich Spezialitäten aus der Region an. Mit den globalen Herausforderungen – Klimaerwärmung, Pandemien, Kriege – wächst tendenziell auch die Einsicht, dass man allein nicht weiterkommt, man Verbündete braucht und diese eher lokal als global findet. Wer in Wirtschaft und Politik Erfolg haben will, muss seinen Netzwert steigern. Und in einem Netzwerk hat nur Erfolg und erzeugt Resonanz, wer mit anderen Menschen interagiert und sich Freunde schafft – was nur gelingt, wenn man sich ernsthaft für sie interessiert.
Die Extremsituation während der Corona-Pandemie hat den Zusammenhalt innerhalb der Gesellschaft gefordert. Wie haben Sie das Verhältnis zwischen Solidarität und individuellem Freiheitsbedürfnis in der Schweiz erlebt?
Karin Frick: Die Corona-Pandemie hat uns gezwungen, uns mehr mit unseren Nachbarn auseinanderzusetzen. Dies fördert das Verständnis und schafft Vertrauen, kann anderseits aber auch mehr Konflikte auslösen. Insgesamt denke ich, dass Vertrauen in die Gemeinschaft während der Pandemie eher gewachsen ist.
Gemeinsame Werte ausloten, gemeinsame Realität erleben, gemeinsame Zukunft konstruieren. Das soll während der Landesausstellung Svizra27 passieren. Können wir so mit und während Svizra27 etwas zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen?
Karin Frick: Wenn Menschen zusammenkommen, dann entsteht Energie. Es handelt sich dabei nicht um Energie im physikalischen Sinne, es handelt sich vielmehr um soziale Energie. Sie entfaltet sich durch Interaktionen in einer Gruppe. Zum Beispiel wenn Freunde eine lebhafte Diskussion führen, an einer Hochzeit feiern oder an einer Beerdigung trauern. Es gibt auch Momente bei Demonstrationen oder nach Fussballspielen, die von viel Energie geprägt sind – Reibung erzeugt Wärme.
Ich denke, die Landesausstellung Svizra27 könnte ein Kraftwerk für «soziale Energie» werden. Der Soziologe Hartmut Rosa, der den Begriff der «sozialen Energie» während der Coronakrise geprägt hat, sagt: «Wenn meine Beobachtung zutrifft, dass viele jetzt das Gefühl haben, durch die tendenzielle Isolation ihre Energie verloren zu haben, dann bestätigt das nur die Vermutung, dass die Quelle, welche die Bewegungsenergie der Moderne erzeugt, nicht in den Individuen liegt, sondern in den sozialen Wechselwirkungen zu suchen ist.»
Je mehr verschiedene Menschen zusammenkommen, umso grösser ist die Chance, Neuem zu begegnen: Menschen, Ideen, Projekten oder Produkten – ein wichtiger Grund, wieso Grossstädte so viele junge Leute anziehen.